1. Dezember 2020
Wie wir alle wissen, wird die Erde jedes Jahr mindestens eineinhalb Mal verbraucht. Leider keine Fiction, sondern die bittere Realität. Und höchste Zeit das zu ändern. Denn es gibt keinen Grund, den Planeten noch mehr auszubeuten, weil alles in ausreichenden Mengen, die wir benötigen, bereits vorhanden ist. Wir müssen nur zugreifen.
Von Barbara Jahn
Sortenrein getrennte zugeschnittene Eisenrohre von den Glashäusern An den alten Schanzen in Wien. © Foto: Romm ZT
Ein wunderbares Denkmodell, um dieser Entwicklung des Raubbaus entgegen zu wirken, ist das „Urban Mining“, das Städte als wahre Fundgrube und Ressourcenquelle für Bauprojekte ins Visier nimmt. In Gebäuden, die abgetragen werden, um für Neues Platz zu machen, finden sich neben wertvollen Materialien auch so manche Schätze, die es per se auf jeden Fall schon wert wären, ein zweites Leben zu bekommen. Nur um ein Gefühl zu bekommen: Laut der Plattform urbanmining.at kommt beispielsweise jeder Stadtbewohner Wiens auf etwa 4.500 kg Eisen, 340 kg Aluminium, 200 kg Kupfer, 40 kg Zink und 210 kg Blei. In einer 100-Quadratmeter-Wohnung stecken heute rund 7.500 Kilogramm Metalle. Fakten, die zumindest den urbanen Bereich als ernstzunehmenden Rohstofflieferanten ausweisen. Einer, der sich schon bei seiner Studienabschlussarbeit intensiv mit diesem Thema auseinandergesetzt hat, ist der österreichische Architekt Thomas Romm, der das BauKarussell mitbegründet hat und im Rahmen dessen bereits einige Projekte sehr erfolgreich umgesetzt hat.
Architekt Thomas Romm beschäftigt sich schon seit 20 Jahren mit der Kreislaufwirtschaft im Bauwesen. © Foto: Salomé Salis
So schön der Name dieser Initiative auf den ersten Blick auch klingen mag: Der Hintergrund ist mehr als ernst. Dass jetzt unter allen Umständen gehandelt werden muss, davon ist Thomas Romm mehr als überzeugt: „Kein Zweifel, wir haben bereits mehr Rohstoffe verbaut, als natürliche Lagerstätten bleiben. Daher müssen wir deren langfristige Verfügbarkeit verbessern, die Dauerhaftigkeit, das Nachwachsen und die Umweltverträglichkeit erhöhen und endlich aufhören kurzzugreifen. Als ich mein Architekturstudium an der TU Wien mit einer Diplomarbeit zu recycling-gerechtem Bauen abgeschlossen habe, war das noch kein Thema für Architekten. Heute ist klar, dass unsere natürlichen Ressourcen kurz vor dem Ende stehen: Zum Beispiel werden 2054 alle natürlichen Kupferreserven erschöpft sein. Die Bauwirtschaft verbraucht 70 Prozent des gesamten Rohstoffaufkommens und verursacht 70 Prozent aller Abfälle. Hier ist also der größte Hebel.“
Wertvolle Elemente, darunter auch historische Ornamente, werden vorsichtig herausgelöst und so vor dem Verschrotten gerettet. © Foto: Harald A. Jahn
So heißt die Devise von BauKarussell: Trennen, sortieren und sinnvoll recyceln. Denn „alt“ bedeutet nicht automatisch „schlecht“ – ganz im Gegenteil. Sortenrein sortiert, wieder in Stand gesetzt und sorgsam verwahrt warten neben sämtlichen wertvollen Rohmaterialien unter anderem auch ganze Fenster, Türen, Geländer, historische Fliesen, Ornamente und sogar ein Paternoster, wie jener aus dem Areal des künftigen MedUni Campus Mariannengasse im Auftrag der Bundesimmobiliengesellschaft, auf ihren neuen Bestimmungsort. Alles, was in vernünftigem Rahmen wiederverwertbar ist, wird geborgen und in das Archiv aufgenommen, um dort neu entdeckt zu werden. Auf die Frage, ob etwas ein bestimmtes Alter haben muss, um bei BauKarussell für die Wiederverwendung vorbereitet werden zu können, antwortet Thomas Romm: „Je älter, desto besser: Für antike Baustoffe gibt es bereits einen funktionierenden Markt. In der Regel sind die Gebäude, die wir abtragen aber weniger als 50 Jahre alt, nicht selten sind aber auch Bauteile dabei, die aus Sanierungen der letzten 15 Jahren stammen.“
Manchmal finden sich auch historische Raritäten wie die Kabinen des originalen Paternosters der alten MedUni Wien. © Foto: BauKarussell
Aus dem „geretteten“ Material entstand ein beachtlicher Bauteil-Katalog, der in erster Linie für den B2B-Bereich erstellt wurde. Hier arbeitet man mit vielen etablierten Partnern aus dem Sektor zusammen. Aber auch Privatkunden werden bei BauKarussell fündig. „Letztlich muss aber das Ziel sein, die Bau- und Immobilienwirtschaft für große Stückzahlen zu gewinnen. Bisher bauen wir nur bei Nachfrage überhaupt aus, Lager und Transport sind bei den geringen Wertdichten nicht rentabel“, sieht Thomas Romm aber noch Luft nach oben. Ein Denkmodell, das genug Potenzial hat, um noch größer gedacht zu werden. Ein Blick über die Grenzen hinaus zeigt, dass in einigen Ländern Europas die Dimension bereits eine andere ist.
Sogar eine extensive Dachbegrünung wie jene vom Dach des ehemaligen Coca Cola-Gebäudes in Wien kann weiterverwertet werden. © Foto: BauKarussell
So ist etwa in den Niederlanden, Norwegen und Finnland ist diese Art zu wirtschaften bereits fester Bestandteil der Bauindustrie, wie Thomas Romm weiß: „In Oslo arbeitet man intensiv an der Null-Emissions-Baustelle mit elektrisch betriebenen Baugeräten, in Rotterdam ist CO2-reduzierter Beton bereits in der öffentlichen Vergabe im Tiefbau gebräuchlich. Helsinki hat einen Landmass-Coordinator. In der Jätkäsaari Ärea hat man drei Millionen Kubikmeter (U-Bahn)-Aushub für ein klimaresilientes Landgewinnungsprojekt verwertet.“ Hier hat man bereits verstanden, dass Kreislaufwirtschaft nur mit Werten betrieben werden kann, nicht mit deren Vernichtung. So kann letztlich das langfristige Ziel nur heißen: Im Kreis gehen. Aber richtig.
www.baukarussell.at